Europa braucht mehr Hightech-Startups — und muss einen eigenen Weg finden, diese zu finanzieren

Von Ann-Kristin Achleitner und Thomas Lange 

Die amerikanischen und chinesischen Technologiekonzerne haben die erste Halbzeit der Digitalisierung gewonnen: Sie dominieren mit ihren digitalen Plattformen das Business-to-Consumer-Geschäft (B2C). Das Rennen um die Digitalisierung der Industrie ist dagegen noch offen – sei es im Verkehrssektor, im Maschinenbau, in der Chemie. Europa ist dank einem starken industriellen Kern für die zweite Halbzeit gut aufgestellt. Aber die Stars der Old Economy müssen rasch den Sprung in die digitale Welt schaffen. Startups können ihnen dabei entscheidend helfen, indem sie gemeinsam mit etablierten Unternehmen an innovativen Lösungen arbeiten und den Wettbewerb anheizen.

Leider spielt Europa bis jetzt eher in der zweiten Liga, wenn es um Hightech-Gründungen geht. Experten machen dafür oft einen Mangel an Risikokapital verantwortlich. Versicherungs- und Pensionsfonds investieren – anders als in den USA – beispielsweise kaum in Wagniskapital. Ein Grund dafür sind striktere Kapitalanlage-Restriktionen. Staatliche Förderfonds versuchen, Gründern den Zugang zu externem Kapital zu erleichtern, also ihre Außenfinanzierung zu stärken. Dieser Ansatz ist richtig.

Allerdings wird darüber oft die entscheidende Bedeutung der Innenfinanzierung übersehen: Startups finanzieren ihr Wachstum nicht nur über Risikokapital, sondern auch aus eigenen Umsätzen.

Eine Studie unter der Leitung von Reiner Braun an der TU München zeigt: Vor der Finanzkrise 2008 konnten mehr als 85 Prozent der Tech-Startups in Deutschland bereits in frühen Jahren Umsätze erzielen. Als die Krise auf die Realwirtschaft übergriff und Aufträge ausblieben, wichen sie verstärkt auf externe Finanzierungsquellen aus. Wagniskapital konnte den Verlust an Mitteln zur Innenfinanzierung aber keinesfalls kompensieren. Folglich führten Unternehmen ihre Investitionen zurück und legten langfristige Innovationsprojekte auf Eis. Forschungsintensive Startups reduzierten ihre Investitionen sogar deutlich stärker als weniger innovative Startups.

Entscheidend für eine stärkere Innenfinanzierung ist die Integration von Startups in industrielle Ökosysteme: Je intensiver sie bereits in frühen Pilotvorhaben, in Innovationsprojekten und der Entwicklung gemeinsamer Lösungen für Dritte mit etablierten Unternehmen zusammenarbeiten, desto grösser ist ihr Spielraum, Wachstum aus eigenen Umsätzen zu finanzieren. Lang laufende Projekte und ein großes Netzwerk von Industriepartnern federn zudem konjunkturelle Einbrüche ab.

Welche Rolle könnte die Politik spielen? Zusätzlich zur Mobilisierung von Wagniskapital könnte der Staat die Nachfrage nach den Produkten und Diensten innovativer Startups fördern – nicht in Form direkter Kaufanreize oder Subventionen, sondern indem er selbst solche Produkte und Dienste nachfragt. Die britische Regierung etwa hat kleinen Unternehmen den Zugang zu öffentlichen Aufträgen gezielt erleichtert. Zudem können staatliche Förderprogramme noch stärker die Verbindung von Startups und etablierten Unternehmen unterstützen.

Wir Europäer sollten uns im Innovationswettbewerb auf eigene Stärken besinnen. Die Zukunft gehört innovativen Ökosystemen, in denen Startups mit Unternehmen der klassischen Industrien kooperieren: Sie helfen den industriellen Champions, zu Champions der vierten industriellen Revolution zu werden. Und sie verleihen der Hightech-Gründerszene nachhaltig Schwung.

So gelingt die Verjüngung der Old Economy im vernetzten Europa.


Dieser Beitrag ist am 29. März 2019 zuerst in der Neuen Zürcher Zeitung erschienen. 

Prof. Dr. Dr. Ann-Kristin Achleitner ist Inhaberin des Lehrstuhls für Entrepreneurial Finance an der TU München, Mitglied des Präsidiums von acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften und Aufsichtsrätin mehrerer DAX-Konzerne.

Dr. Thomas Lange ist Diplom-Volkswirt. Er leitet den Themenschwerpunkt Volkswirtschaft, Bildung und Arbeit bei acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften.